Vorweggenommene Erbfolge unter Nießbrauchsvorbehalt – und der Zugewinnausgleich

Ist Vermögen, das ein Ehegatte mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht erwirbt, zugunsten des Übergebers mit einem Nießbrauch belastet, unterliegt der fortlaufende Wertzuwachs der Zuwendung aufgrund des abnehmenden Werts des Nießbrauchs für den dazwischen liegenden Zeitraum bzw. die Zeit zwischen dem Erwerb des Grundstücks und dem Erlöschen des Nießbrauchs nicht dem Zugewinnausgleich1.

Vorweggenommene Erbfolge unter Nießbrauchsvorbehalt – und der Zugewinnausgleich

Um diesen Wertzuwachs im Zugewinnausgleich rechnerisch zu erfassen, ist eine auf einzelne Zeitabschnitte aufgeteilte Bewertung des gleitenden Erwerbsvorgangs nicht erforderlich. Das gleiche Ergebnis kann vielmehr schon dadurch erreicht werden, dass bei der Berechnung des Zugewinns des Zuwendungsempfängers auf ein Einstellen des Wertes des Nießbrauchs zum Ausgangs- und Endzeitpunkt in die Vermögensbilanz insgesamt verzichtet wird2.

Ist hingegen der Wert des Nießbrauchs gestiegen, weil das belastete Grundstück im maßgeblichen Zeitraum einen Wertzuwachs (hier: infolge gestiegener Grundstückspreise) erfahren hat, muss der Wert des Nießbrauchs im Anfangs- und Endvermögen eingestellt werden, ohne dass es weiterer Korrekturen des Anfangsvermögens bedarf.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt die Wertsteigerung, die gemäß § 1374 Abs. 2 BGB privilegiertes Vermögen während des Güterstandes durch das allmähliche Absinken des Wertes eines vom Zuwendenden angeordneten oder ihm vorbehaltenen lebenslangen Nießbrauchs erfährt, selbst einen nach § 1374 Abs. 2 BGB privilegierten Vermögenserwerb (sog. gleitender Vermögenserwerb) dar, der grundsätzlich nicht dem Zugewinnausgleich unterliegt3.

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Die Berücksichtigung des gleitenden Vermögenserwerbs als privilegierter Vermögenserwerb i.S.v. § 1374 Abs. 2 BGB, der nicht dem Zugewinnausgleich unterliegt, beruht auf der Erwägung, dass der begünstigte Ehegatte die Zuwen-dung von vornherein mit der sicheren Aussicht erworben hat, die Belastung des Grundstücks zugunsten des Berechtigten werde spätestens mit dessen Tod entfallen. Daher erstreckt sich der Erwerbsvorgang – hinsichtlich der uneingeschränkten Nutzungsmöglichkeit – sowohl bei der Übertragung eines Grundstücks unter Vorbehalt eines lebenslangen Wohnrechts als auch der Belastung durch ein Nießbrauchsrecht zugunsten des Zuwendenden über den gesamten Zeitraum, der zwischen der Grundstücksübertragung und dem Tod des Berechtigten liegt. Dieser gleitende Vermögenserwerb geht in der Regel mit einer Wertsteigerung der Zuwendung einher, die sich aus der geringer werdenden Lebenserwartung des Nießbrauchers ergibt und die mit einem geringer werdenden Wert des Nießbrauchs korrespondiert4. Dieser während der Ehe eintretende Wertzuwachs der Zuwendung ist somit Teil des nach § 1374 Abs. 2 BGB privilegierten Vermögenserwerbs5.

Grund für die Regelung des § 1374 Abs. 2 BGB ist, dass der Vermögenserwerb auf persönlichen Beziehungen des erwerbenden Ehegatten zu dem Zuwendenden beruht. Der Gesetzgeber hat einen solchen Vermögenszuwachs nicht als Erwerb angesehen, an dem der andere Ehegatte im Rahmen des Zugewinnausgleichs beteiligt werden soll6. Dies gilt in Fällen wie dem vorliegenden nicht nur für den Wert des zugewendeten Grundstücks selbst, sondern auch für eine Wertsteigerung, die sich aus dem fortlaufenden Absinken des Werts des Nießbrauchs ergibt und die damit noch zum Erwerbsvorgang i.S.v. § 1374 Abs. 2 BGB zu zählen ist.

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Zur rechnerischen Umsetzung dieser Grundsätze hat der Bundesgerichtshof im Urteil vom 22.11.20067 zu einer Grundstücksbelastung mit einem Wohnrecht ausgeführt, dass dem Erfor-dernis, der Berechnung des Anfangsvermögens den Wert zugrunde zu legen, den hinzuzurechnendes Vermögen im Zeitpunkt des Erwerbs gehabt habe, nur dadurch Rechnung getragen werden könne, dass das Wohnrecht als Grundstücksbelastung für den Anfangsvermögensstichtag und – falls es fortbestehe – auch für den Endvermögensstichtag bewertet werde. Darüber hinaus sei der fortlaufende Wertzuwachs der Zuwendung aufgrund des abnehmenden Werts des Wohnrechts auch für den dazwischen liegenden Zeitraum bzw. die Zeit zwischen dem Erwerb und dem Erlöschen des Wohnrechts zu bewerten, um den gleitenden Erwerbsvorgang zu erfassen und durch entsprechende Hinzurechnung zum Anfangsvermögen vom Ausgleich auszunehmen. Dem stehe nicht entgegen, dass der Wertzuwachs durch den gleitenden Vermögenserwerb nicht linear verlaufe und sich in der Regel ohne sachverständige Hilfe nicht ermitteln lasse.

Daran hält der Bundesgerichtshof nicht fest.

Um den Wertzuwachs, den das zugewendete Grundstück durch das Abschmelzen des Werts des Nießbrauchs im Zeitraum zwischen dem Erwerb und der Zustellung des Scheidungsantrags erfährt, aus dem Zugewinnausgleich auszunehmen, ist eine auf einzelne Zeitabschnitte aufgeteilte Bewertung des gleitenden Erwerbsvorgangs nicht erforderlich. Das gleiche Ergebnis kann vielmehr schon dadurch erreicht werden, dass bei der Berechnung des Zugewinns des Zuwendungsempfängers auf ein Einstellen des Werts des Nießbrauchs zum Ausgangs- und Endzeitpunkt in die Vermögensbilanz insgesamt verzichtet wird8. Wie Gutdeutsch überzeugend nachgewiesen hat9, führt eine auf einzelne Zeitabschnitte aufgeteilte Bewertung des Nießbrauchs bei korrekter Indexierung sämtlicher für die Berechnung des gleitenden Vermögenserwerbs maßgeblichen Werte zu keinem anderen Ergebnis als die vollständige Nichtberücksichtigung der Grundstücksbelastung bei der Ermittlung des Zugewinns des Zuwendungsempfängers.

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Anders ist allerdings der Fall zu beurteilen, wenn sich im maßgeblichen Zeitraum der Wert des Nießbrauchs nicht wegen des Absinkens der Lebenserwartung des Nießbrauchsberechtigten vermindert hat, sondern aufgrund anderer Umstände, etwa der Wertentwicklung des Grundstücks während der Ehezeit, gestiegen ist. In diesem Fall muss der jeweilige Wert des Nießbrauchs sowohl im Anfangs- als auch im Endvermögen des Zuwendungsempfängers berücksichtigt werden, weil andernfalls dessen Zugewinn zu hoch ausfiele. Der höhere Wert des Nießbrauchs ergibt sich in solchen Fällen aus der erheblichen Steigerung des Grundstückswertes und ist nicht Folge der Schenkung. Die Steigerung des Niebrauchswertes begrenzt dann lediglich die in den Zugewinnausgleich einzubeziehende erhebliche Wertsteigerung des Grundstücks. Einer zusätzlichen Berücksichtigung eines „negativen gleitenden Zuerwerbs“ bedarf es in solchen Fällen – über die Berücksichtigung des Nießbrauchswertes im Anfangs- und Endvermögen hinaus – nicht.

Dementsprechend ist im hier entschiedenen Fall bei der Ermittlung des Anfangs- und des Endvermögens der jeweilige Wert des Nießbrauchs im Zeitpunkt der Stichtage wertmindernd zu berücksichtigen und davon abzusehen, die Wertsteigerung des Nießbrauchsrechts während der Ehezeit als „negativen gleitenden Zuerwerb“ gemäß § 1374 Abs. 2 BGB beim Anfangsvermögen zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall ist der Wert des Nießbrauchs während der Ehezeit nicht abgesunken, sondern hat sich bis zum Stichtag für die Bewertung des Endvermögens deutlich erhöht. Der angestiegene Wert des Nießbrauchs beruht jedoch allein auf einem außergewöhnlichen Wertzuwachs, den das Hausanwesen der Antragstellerin bis zum Ehezeitende erfahren hat. Diese Wertänderung ist kein gleitender Vermögenserwerb und wird daher nicht von § 1374 Abs. 2 BGB erfasst. Sie stellt sich als eine Belastung des Hausanwesens dar, die den Wert der Immobilie mindert und daher auch bei der Berechnung des Endvermögens der Antragsgegnerin zu berücksichtigen ist. Eine Zurechnung dieser Wertentwicklung des Nießbrauchs als „negativer gleitender Zuerwerb“ zum Anfangsvermögen der Antragsgegnerin hätte zudem zur Folge, dass der Antragsteller zwar an der erheblichen Wertsteigerung des Wohngrundstücks teilhaben würde, der damit verbundene Anstieg des Werts der auf dem Grundstück liegenden Belastung hingegen allein von der Antragsgegnerin zu tragen wäre. Dies verstieße gegen den in § 1378 Abs. 1 BGB verankerten Halbteilungsgrundsatz, wonach in der Ehe erwirtschaftetes Vermögen bei Beendigung des Güterstands zwischen den Ehegatten zu gleichen Teilen aufgeteilt werden soll.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 6. Mai 2015 – XII ZB 306/14

  1. im Anschluss an BGH, Urteile BGHZ 170, 324 = FamRZ 2007, 978 und BGHZ 111, 8 = FamRZ 1990, 603[]
  2. Aufgabe von BGH, Urteil in BGHZ 170, 324 = FamRZ 2007, 978[]
  3. BGH, Urteile BGHZ 170, 324 = FamRZ 2007, 978 Rn. 28 und BGHZ 111, 8 = FamRZ 1990, 603, 604[]
  4. BGH, Urteil BGHZ 164, 69 = FamRZ 2005, 1974, 1977[]
  5. BGH, Urteil BGHZ 111, 8 = FamRZ 1990, 603, 604[]
  6. vgl. etwa BGH, Urteil BGHZ 101, 65 = FamRZ 1987, 791, 792 mwN[]
  7. BGHZ 170, 324 = FamRZ 2007, 978 Rn. 30 ff.[]
  8. vgl. BGH, Urteil BGHZ 111, 8 = FamRZ 1990, 603, 604[]
  9. Gutdeutsch, FamRZ 2015, 1083 ff.[]