Urlaubsabgeltungsanspruch – und seine Vererbbarkeit

Ust ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, gehen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche mit Ablauf des 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres unter. Der Verfall tritt nicht bereits vor diesem Zeitpunkt tageweise ein. Der entstandene Urlaubsabgeltungsanspruch ist vererbbar.

Urlaubsabgeltungsanspruch – und seine Vererbbarkeit

Der gesetzliche Urlaubsanspruch im Umfang von 25 Arbeitstagen ist zu Beginn des Jahres (hier: 2009) unabhängig davon entstanden, dass der Arbeitnehmer seit dem 9.01.2008 krankheitsbedingt arbeitsunfähig war. Auch der Bezug der Erwerbsminderungsrente ab Mai 2009 war für den Fortbestand des Urlaubsanspruchs unerheblich. Der gesetzliche Erholungsurlaub (§§ 1, 3 BUrlG) und der schwerbehinderten Menschen zustehende Zusatzurlaub (§ 125 Abs. 1 SGB IX) setzen keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraus((BAG 7.08.2012 – 9 AZR 353/10, Rn. 8, BAGE 142, 371)). Gesetzliche Urlaubsansprüche entstehen auch dann, wenn der Arbeitnehmer eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung bezieht und dies nach einer tariflichen Regelung das Ruhen des Arbeitsverhältnisses zur Folge hat. Die Vorschrift des § 26 Abs. 2 Buchst. c TV-L ist jedenfalls insoweit unwirksam, als sie auch die Verminderung gesetzlicher Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern und schwerbehinderten Menschen erfasst, die aus gesundheitlichen Gründen nicht die ihnen nach dem Arbeitsvertrag obliegende Leistung erbracht haben. Eine solche Verminderung gesetzlicher Urlaubsansprüche lässt § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zu((vgl. zu der entsprechenden Regelung im TVöD BAG 7.08.2012 – 9 AZR 353/10, Rn. 9, aaO)).

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Der gesetzliche Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers aus dem Jahr 2009 war zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 17.03.2011 noch nicht verfallen. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 07.08.20121 eingehend begründet, weshalb die gesetzlichen Urlaubsansprüche arbeitsunfähiger Arbeitnehmer aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres untergehen.

Die Auffassung, dem Arbeitnehmer habe ein weiterer Urlaubsabgeltungsanspruch nicht zugestanden, weil sein Urlaub aus dem Jahr 2009 bereits tageweise vor dem 31.03.2011 untergegangen sei, beruht auf der vom Bundesarbeitsgericht vormals vertretenen Surrogatstheorie. Das Bundesarbeitsgericht hat die Rechtsprechung zum Charakter des Abgeltungsanspruchs als Surrogat des Urlaubsanspruchs jedoch insgesamt aufgegeben2. In der Folge der Schultz-Hoff, Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 20.01.20093 ist das tragende Fundament der Surrogatstheorie entfallen, krankheitsbedingt arbeitsunfähige und aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidende Arbeitnehmer nicht besserzustellen als im Arbeitsverhältnis verbleibende arbeitsunfähige Arbeitnehmer4. Das Argument des Arbeitgebers, der Urlaubsanspruch sei mit der Frist „belastet“ und diese setze sich im Abgeltungsanspruch fort, trägt deshalb nicht. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist anders als nach der aufgegebenen Surrogatstheorie ein reiner Geldanspruch. Er verdankt seine Entstehung zwar urlaubsrechtlichen Vorschriften. Ist er entstanden, ist er nicht mehr Äquivalent zum Urlaubsanspruch, sondern bildet einen Teil des Vermögens des Arbeitnehmers und unterscheidet sich in rechtlicher Hinsicht nicht von anderen Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber5.

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Soweit in der Literatur unabhängig von der Abgeltung des Urlaubsanspruchs vereinzelt ein sukzessiver Untergang des Urlaubsanspruchs vor Ablauf des Übertragungszeitraums vertreten wird6, beruht dies auf der Prämisse, bei der Urlaubsschuld des Arbeitgebers handele es sich um eine absolute Fixschuld. Diese Annahme steht freilich im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts7.

Würde der Urlaub gemäß der Ansicht des Arbeitgebers sukzessive verfallen, würde im Ergebnis der Übertragungszeitraum verkürzt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union folgt aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie), dass im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers der Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums, für den der Urlaub gewährt wird, deutlich überschreiten muss8. Da der Bezugszeitraum nach dem BUrlG das Kalenderjahr ist, muss der Übertragungszeitraum deutlich länger als zwölf Monate sein. Wäre der Urlaubsanspruch entsprechend der Ansicht des Arbeitgebers mit dem Ablauf der Übertragungsfrist „belastet“, hätte dies zur Folge, dass ein Teil der Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers aus dem Jahr 2009 bereits im Februar 2011 untergegangen wäre. Mangels eines sukzessiven Verfalls der Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers aus dem Jahr 2009 nach dem nationalen Recht bedarf die Frage, ob im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ein Übertragungszeitraum von weniger als 14 Monaten noch als „deutlich länger“ als ein Jahr iSd. Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union angesehen werden kann9, keiner Antwort.

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Der Arbeitnehmer erwarb mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Abgeltungsanspruch für die im Jahr 2009 entstandenen gesetzlichen Urlaubsansprüche im Umfang von 25 Arbeitstagen. Der Zahlungsanspruch ist mit dem Tod des Arbeitnehmers gemäß § 1922 BGB auf seine Erben in Erbengemeinschaft übergegangen. Aus der Einordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs als reiner Geldanspruch folgt, dass dieser Anspruch weder von der Erfüllbarkeit oder Durchsetzbarkeit des Urlaubsanspruchs abhängt noch mit dem Tod des Arbeitnehmers untergeht. Vielmehr ist er vererbbar10. Soweit das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit nur einen Schadensersatzanspruch, nicht aber den Urlaubsabgeltungsanspruch selbst als vererblich angesehen hat11, wird hieran nach der vollständigen Aufgabe der Surrogatstheorie nicht mehr festgehalten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. September 2015 – 9 AZR 170/14

  1. BAG 07.08.2012 – 9 AZR 353/10, Rn. 32, BAGE 142, 371[]
  2. BAG 19.06.2012 – 9 AZR 652/10, Rn. 15, BAGE 142, 64[]
  3. EuGH 20.01.2009 – C-350/06 und – C-520/06, Slg. 2009, I-179[]
  4. BAG 19.06.2012 – 9 AZR 652/10, Rn. 17 ff., aaO[]
  5. BAG 19.05.2015 – 9 AZR 725/13, Rn. 18 mwN[]
  6. vgl. Bachmann in GK-BUrlG 5. Aufl. § 7 Rn. 122[]
  7. vgl. nur BAG 28.11.1990 – 8 AZR 570/89, zu II 3 c der Gründe, BAGE 66, 288[]
  8. EuGH 3.05.2012 – C-337/10 – [Neidel] Rn. 41; 22.11.2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 38, Slg. 2011, I-11757[]
  9. verneinend Bauer/v. Medem NZA 2012, 113, 115[]
  10. so auch: ErfK/Gallner 15. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 81; AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. Bd. 2 § 7 BUrlG Rn. 141; Schubert RdA 2014, 9, 14 ?ff.; Höpfner RdA 2013, 65, 69 f.; bisher offengelassen von BAG 20.09.2011 – 9 AZR 416/10, Rn. 12, BAGE 139, 168[]
  11. BAG 19.11.1996 – 9 AZR 376/95, zu I 2 c der Gründe mwN, BAGE 84, 325[]
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