Dynamische Lebensversicherungen – und die Vermittlerprovision

Vermittelt der Versicherungsvertreter dynamische Lebensversicherungen, bei denen sich die Versicherungssumme nach dem Inhalt des Versicherungsvertrags in regelmäßigen Zeitabständen erhöht, wenn der Versicherungsnehmer nicht widerspricht, gehen die Erhöhungen auf die Vermittlungstätigkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrags zurück und sind gemäß § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB im Zweifel provisionspflichtig1.

Dynamische Lebensversicherungen – und die Vermittlerprovision

Im Ausgangspunkt steht dem Versicherungsvertreter gemäß § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB aufgrund des mit der Versicherungsgesellschaft geschlossenen Vertrages Provisionsansprüche für nach Beendigung des Vermittlungsvertrags eintretende Erhöhungen der Versicherungssumme für von ihm vermittelte Lebensversicherungen zu, bei denen sich die Versicherungssumme nach dem Inhalt des Versicherungsvertrags in regelmäßigen Zeitabständen erhöht, wenn der Versicherungsnehmer nicht widerspricht und die erhöhte Prämie zahlt (sogenannte dynamische Lebensversicherungen). Er kann für diese nach Beendigung des Vermittlungsvertrages bis zum jeweiligen Ablauf des Versicherungsvertrags fällig werdenden Provisionen gemäß § 92 Abs. 2, § 87c Abs. 1 HGB jeweils Abrechnungen von der Versicherungsgesellschaft beanspruchen.

Der Versicherungsvertreter war im hier entschiedenen Fall auch nach § 259 ZPO berechtigt, die Abrechnung der künftig fällig werdenden Provisionen geltend zu machen. Die Versicherungsgesellschaft hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass sie zu einer Abrechnung dieser künftig fällig werdenden Provisionen nicht verpflichtet sei, so dass die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass sie sich der rechtzeitigen Leistung entziehen wird.

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Nach § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB gelten für das Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherungsvertreter und dem Versicherer die Vorschriften für das Vertragsverhältnis zwischen dem Handelsvertreter und dem Unternehmer, wobei in Abweichung von § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB ein Versicherungsvertreter Anspruch auf Provision nur für die Geschäfte hat, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind. Vermittelt der Versicherungsvertreter dynamische Lebensversicherungen, bei denen sich die Versicherungssumme in regelmäßigen Zeitabständen erhöht, wenn der Versicherungsnehmer nicht widerspricht, gehen die Erhöhungen auf die Vermittlungstätigkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrags zurück und sind gemäß § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB im Zweifel provisionspflichtig2. Der Eigenart dieses Vertragstyps entspricht es, die vereinbarungsgemäß eintretenden Erhöhun gen bereits mit Abschluss des Versicherungsvertrags als vereinbart anzusehen, dem Versicherungsnehmer aber hinsichtlich der Erhöhungen ein Widerspruchsrecht zuzugestehen. Mit dem Abschluss des Versicherungsvertrags entsteht für die Versicherungsgesellschaft einseitig eine Bindung für die gesamte Vertragslaufzeit einschließlich sämtlicher Erhöhungen, die auflösend dadurch bedingt ist, dass der Versicherungsnehmer von dem ihm eingeräumten Widerspruchsrecht Gebrauch macht3.

Dabei ist die Erhöhung der Versicherungssumme in diesen Fällen nicht von einer werbenden Tätigkeit eines Dritten abhängig, die nach § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 HGB, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB einen Provisionsanspruch des Versicherungsvertreters ausschließt. Denn die Erhöhung wird aufgrund des geschlossenen Lebensversicherungsvertrags bereits dann wirksam, wenn der Versicherungsnehmer nicht widerspricht und die erhöhte Versicherungsprämie zahlt.

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Mit der Annahme einer Provisionspflicht für vom Versicherungsvertreter vermittelte dynamische Lebensversicherungsverträge über den Zeitpunkt der Beendigung des Vermittlungsvertrages hinaus wird das systematische Verhältnis von Provisionsansprüchen einerseits und dem Ausgleichsanspruch gemäß § 89b Abs. 5 HGB andererseits nicht unterlaufen. Soweit dem Versicherungsvertreter aufgrund der von ihm während der Vertragszeit vermittelten Versicherungsverträge nach Beendigung des Vertrags noch Ansprüche auf Zahlung von Abschlussprovisionen gemäß § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB zustehen, tritt kein Provisionsverlust ein, der etwa für den Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 5 HGB zu berücksichtigen wäre. Die Beschränkungen des § 89b Abs. 5 HGB finden lediglich Anwendung, wenn dem Versicherungsvertreter ein Ausgleichsanspruch zusteht. Es besteht daher kein Grund, die Beschränkungen des § 89b Abs. 5 HGB auf vom Versicherungsvertreter nach § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 HGB, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB zu beanspruchende Abschlussprovisionen, die nach Beendigung des Vertrags fällig werden, zu erstrecken.

Die Voraussetzungen der § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB liegen in Bezug auf die vom Versicherungsvertreter vermittelten dynamischen Lebensversicherungsverträge vor.

Im vorliegenden Streitfall handelt es sich bei den streitgegenständlichen Lebensversicherungsverträgen, zu denen der Versicherungsvertreter jeweils Provisionsabrechnungen für den Zeitraum nach Beendigung des Vermittlungsvertrags bis zum Ablauf des jeweiligen Versicherungsvertrags verlangt, unstreitig um vom Versicherungsvertreter vermittelte Lebensversicherungsverträge mit Dynamik. Mit Abschluss dieser Lebensversicherungsverträge entsteht damit der Anspruch des Versicherungsvertreters auf Abrechnung der jeweils fälligen Provision gemäß § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB. Wie das Berufungsgericht von den Parteien unangegriffen weiter festgestellt hat, enthält der Vermittlungsvertrag keine vom dispositiven Recht abweichende Bestimmung über die Provisionspflicht der Versicherungsgesellschaft für nach Beendigung des Vertrags aufgrund der vereinbarten Dynamik eintretende Erhöhungen der Versicherungssummen.

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Den Versicherungsvertreter trifft nicht die Darlegungsund Beweislast dafür, dass es nach Beendigung des Vermittlungsvertrages tatsächlich zu Erhöhungen der Versicherungssumme in den jeweiligen Verträgen gekommen ist. Da der Eintritt solcher Erhöhungen auflösend dadurch bedingt ist, dass der Versicherungsnehmer von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht, trägt die Versicherungsgesellschaft für diesen für sie günstigen Umstand nach allgemeinen beweisrechtlichen Grundsätzen die Darlegungsund Beweislast4. Den Nachweis dafür, dass die Kunden der streitgegenständlichen Versicherungsverträge von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht haben, hat die Versicherungsgesellschaft im vorliegenden Streitfall aber nicht geführt.

Im hier entschiedenen Fall enthielten die Vertragsbestimmungen des Vermittlungsvertrages auch keine Vereinbarung über einen Verzicht des Versicherungsvertreters auf nach Beendigung des Vertrags fällig werdende Provisionen. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob es sich bei den Vertragsbestimmungen des Vermittlungsvertrags um von der Versicherungsgesellschaft gestellte Allgemeinen Geschäftsbedingungen handelt, ist zu ihren Gunsten in der Revisionsinstanz davon auszugehen, dass es sich bei dem Vertrag um eine Individualvereinbarung handelt.

Die Auslegung des Berufungsgerichts, der Vermittlungsvertrag enthalte keine Vereinbarung eines Provisionsverzichts für nach Beendigung des Vertrags fällig werdende Provisionen, lässt keine revisionsrechtlich beachtlichen Auslegungsfehler erkennen.

Die Auslegung von Willenserklärungen ist grundsätzlich Angelegenheit des Tatrichters. Eine revisionsrechtliche Überprüfung findet allerdings dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht5. Zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen zählt der Grundsatz der beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung6. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hält die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des Vermittlungsvertrags der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

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Ein Verstoß gegen die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB liegt nicht vor. Die Vereinbarung eines Verzichts auf nach Beendigung des Vertrags fällig werdende Provisionsansprüche des Versicherungsvertreters setzt voraus, dass der rechtsgeschäftliche Wille, einen solchen Verzicht zu vereinbaren, unmissverständlich zum Ausdruck kommt7. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es an einem solchen unmissverständlich erklärten rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien fehlt.

Soweit die Revision geltend macht, die Vereinbarung in § 9 Abs. 4 des Vermittlungsvertrags, wonach die von den Spitzenverbänden der Versicherungswirtschaft und des Versicherungsaußendienstes vereinbarten Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs Anwendung finden sollen, ergebe nur einen Sinn, wenn die Parteien übereinstimmend davon ausgegangen seien, dass für nach Vertragsbeendigung aufgrund der vereinbarten Dynamik eintretende Erhöhungen der Versicherungssummen keine Provisionen an den Versicherungsvertreter zu zahlen seien, wird ein Verstoß gegen §§ 133, 157 BGB nicht dargelegt. Ein stillschweigender Verzicht des Versicherungsvertreters auf nach Beendigung des Vertrags fällig werdende Provisionen ist im Zweifel nicht zu vermuten. Der Verweis auf die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach den vorgenannten Grundsätzen bietet keinen zwingenden Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien einen solchen Verzicht vereinbaren wollten. Dass ein Ausgleichsanspruch zugunsten des Versicherungsvertreters nach den ihm entgehenden Provisionen zu berechnen ist, besagt nichts darüber, ob ein entsprechender Provisionsverzicht vorliegt. Die Vereinbarung der Modalitäten eines dem Versicherungsvertreter nach Vertragsbeendigung etwa zustehenden Ausgleichsanspruchs lässt daher nicht den Schluss auf einen zuvor vereinbarten Provisionsverzicht zu.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Dezember 2018 – VII ZR 69/18

  1. im Anschluss an BAG, VersR 1984, 897; VersR 1986, 251[]
  2. vgl. BAG, VersR 1984, 897; VersR 1986, 251; OLG Köln, Urteil vom 28.11.2014 19 U 71/14; BeckRS 2015, 10251; MünchKomm-HGB/von HoyningenHuene, 4. Aufl., § 87 Rn. 61; Emde in Staub, Großkommentar HGB, 5. Aufl., § 92 Rn. 57; Oetker/Busche, HGB, 5. Aufl., § 87 Rn. 14; EBJS/Löwisch, HGB, 3. Aufl., § 87 Rn. 47; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 38. Aufl., § 87 Rn. 12; a.A. OLG Nürnberg, Urteil vom 10.09.2003 12 U 896/03, n.v.[]
  3. vgl. BAG, VersR 1984, 897 40[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 03.05.2005 – VI ZR 238/04, NJW-RR 2005, 1183 13; Urteil vom 14.01.1991 – II ZR 190/89, BGHZ 113, 222 16 m.w.N.; Baumgärtel/Prütting, Handbuch der Beweislast, 3. Aufl., Kap. 11 Rn.20 f.[]
  5. BGH, Urteil vom 31.08.2017 – VII ZR 5/17 Rn. 24, NJW 2017, 3590; Urteil vom 22.12 2011 – VII ZR 67/11 Rn. 12 m.w.N., BGHZ 192, 172[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 31.08.2017 – VII ZR 5/17 Rn. 24, NJW 2017, 3590; Urteil vom 05.03.2015 – IX ZR 133/14 Rn. 21, BGHZ 204, 231; Versäumnisurteil vom 22.01.2015 – VII ZR 87/14 Rn. 14, NJW 2015, 1107[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 15.07.2016 – V ZR 168/15 Rn. 34, BGHZ 211, 216; Urteil vom 04.12 2015 – V ZR 142/14 Rn. 25, MDR 2016, 315[]
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