Der Großspendenvortrag – und seine Änderung

Aufgrund der in § 10b Abs. 1 Satz 5 EStG 2002 vorgenommenen Globalverweisung gilt die Vorschrift des § 10d EStG 2002 im Falle des Abzugs von Sonderausgaben für steuerbegünstigte Zwecke entsprechend.

Der Großspendenvortrag – und seine Änderung

Daraus folgt, dass der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Großspendenvortrag gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG 2002 gesondert festzustellen ist. Nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG 2002 sind solche Feststellungsbescheide u.a. zu ändern, soweit sich die nach § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 bei der Bestimmung des verbleibenden Verlust- bzw. Großspendenvortrags zu berücksichtigenden Beträge (d.h. Besteuerungsgrundlagen; hier: die bei der Ermittlung des Einkommens nicht berücksichtigten Sonderausgaben für Großspenden) ändern und deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu ändern ist. Dies gilt gemäß § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG 2002 auch dann, wenn die Änderung des Steuerbescheids -hier z.B. bei Überschreiten der Höchstbeträge für den Spendenabzug- mangels steuerlicher Auswirkungen unterbleibt.

Von diesen allgemeinen Grundsätzen ausgehend, kann die von der Spenderin begehrte Korrektur des Feststellungsbescheids über den verbleibenden Großspendenvortrag gemäß § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG 2002 erfolgen, wenn die Einkommensteuerfestsetzung für 2004 verfahrensrechtlich, d.h. gemäß §§ 164 f., §§ 172 ff. AO, noch geändert werden könnte, oder dies allein mangels steuerlicher Auswirkungen unterbleiben würde1.

§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 20102 schreibt nunmehr -d.h. ab 1.01.2011- eine entsprechende Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ausdrücklich vor, die Neuregelung gilt gemäß § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG jedoch erstmals für Verluste bzw. -im hiesigen Kontext (vgl. § 10b Abs. 1 Satz 10 EStG)- die Höchstsätze übersteigende Großspenden, wenn die Feststellungserklärung nach dem 13.12 2010 abgegeben wird. Vorliegend datiert der insoweit im Streitfall maßgebliche Antrag auf Änderung des Feststellungsbescheids indes bereits vom 18.09.2008.

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Im hier entschiedenen Fall konnte die Einkommensteuerfestsetzung für 2004 allerdings aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden:

Der Bundesfinanzhof kann in die rechtliche Prüfung der Änderbarkeit des Einkommensteuerbescheids für 2004 eintreten, obwohl das Einspruchsverfahren nach den Feststellungen des Finanzgericht nur bislang in Bezug auf den Antrag auf Änderung des Feststellungsbescheids abgeschlossen ist. Die vorzunehmende Bestandskraftprüfung bezweckt nämlich lediglich die Klärung einer im Rahmen der Korrekturvorschrift des § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG 2002 zu beantwortenden Vorfrage. Weder der angegriffene Einkommensteuerbescheid für 2004 noch der Bescheid über Ablehnung des diesbezüglichen Änderungsantrags muss deshalb zum Prozessgegenstand geworden sein. Denn bei den Einkommensteuerbescheiden handelt es sich nicht um für die Beurteilung des Feststellungsbescheids bindende Grundlagenbescheide i.S. von § 171 Abs. 10 Satz 1 AO3.

Hinsichtlich der Einkommensteuerfestsetzung für 2004 ist noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Die maßgebliche Vier-Jahres-Frist begann gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nach Einreichung der Einkommensteuererklärung 2004 am 17.01.2006 mit Ablauf des Jahres 2006. Sie ist bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den Änderungsantrag vom 18.09.2008 gemäß § 171 Abs. 3 AO in ihrem Ablauf gehemmt.

Allerdings greift vorliegend keine Korrekturvorschrift ein.

Eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2004 lässt sich nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO stützen.

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Die Spenden des X an die Y-GmbH können für sich genommen Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sein. Sie hätten zwar wegen der Ausschöpfung der Höchstbeträge nach § 10b Abs. 1 EStG 2002 nicht mehr zu einer niedrigeren Steuer führen können, was jedoch nach § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG 2002 im vorliegenden Zusammenhang unschädlich ist. Es fehlte aber zusätzlich -wie das Finanzgericht, wenn auch in Bezug auf die Änderung des Feststellungsbescheids, zutreffend ausgeführt hat- im maßgeblichen Zeitpunkt der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung am 9.01.20084 an den Zuwendungsbestätigungen gemäß § 50 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 2002. Dabei handelt es sich um materiell-rechtliche Voraussetzungen des Spendenabzugs5. Diese wurden nach den von der Spenderin nicht angegriffenen Feststellungen des Finanzgericht jeweils erst am 27.08.2008 erstellt und dem Finanzamt am 18.09.2008 vorgelegt.

Auf die -vom Finanzamt ohnehin in Abrede gestellte- hypothetische Erwägung der Spenderin, das Finanzamt hätte den von ihr begehrten geänderten Großspenden-Feststellungsbescheid auch ohne Vorlage der Zuwendungsbestätigungen erlassen, kann es deshalb nicht ankommen.

Auch handelt es sich bei den Zuwendungsbestätigungen nicht um nachträglich bekannt gewordene „Beweismittel“. Sie waren im genannten Zeitpunkt noch nicht existent, sondern wurden erst nachträglich erstellt6.

Der Einkommensteuerbescheid für 2004 konnte auch nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden. Es fehlt am „rückwirkenden Ereignis“.

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Das Finanzgericht hat zu Recht, wenn auch unmittelbar auf den Feststellungsbescheid bezogen, § 175 Abs. 2 Satz 2 AO angewendet. Nach dieser Vorschrift gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung (hier: der Zuwendungsbestätigungen vom 27.08.2008) kraft Gesetzes nicht als „rückwirkendes Ereignis“ i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.

Das Urteil „Meilicke II“ des Gerichtshofs der Europäischen Union7 stand der Anwendung von § 175 Abs. 2 Satz 2 AO nicht entgegen.

Die Entscheidung des EuGH betrifft die durch § 175 Abs. 2 Satz 2 AO i.V.m. Art. 97 § 9 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO) rückwirkende und ohne Einräumung einer Übergangsfrist geschaffene Sperre für die Berücksichtigung von Bescheinigungen. Im Streitfall aber tritt keine Rückwirkung ein. Ungeachtet der Frage, wann die Spenden geleistet wurden, war am 28.10.2004, dem in Art. 97 § 9 Abs. 3 Satz 1 EGAO genannten Stichtag, die Einkommensteuer 2004 noch gar nicht entstanden.

Unabhängig davon hat das Finanzgericht zutreffend erkannt, dass der Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht eröffnet ist. Weder ergibt sich aus den Feststellungen des Finanzgericht noch hat die Spenderin einen Gesichtspunkt dafür vorgetragen, dass der Streitfall einen wie auch immer gearteten Unionsrechtsbezug aufweist. Dies betrifft nicht nur den durch Art. 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUGrdRCh eingegrenzten Anwendungsbereich der Art.20, 21 EUGrdRCh8, sondern lässt insbesondere den Hinweis der Spenderin auf das EuGH, Urteil Åkerberg Fransson9 ins Leere laufen. In diesem -im Ausgangspunkt das (steuer-)strafrechtliche Doppelbestrafungsverbot („ne bis in idem“) betreffenden- Fall hatte der EuGH zwar den für die Eröffnung seiner Jurisdiktion erforderlichen Unionsrechtsbezug für gegeben erachtet, weil dem dortigen Spender die Hinterziehung von unionsrechtlich harmonisierter Mehrwertsteuer zur Last gelegt worden war10. Im Streitfall ist aber ausschließlich über die rechtsfehlerfreie Anwendung von Vorschriften des nicht harmonisierten Einkommensteuer- bzw. Steuerverfahrensrechts zu befinden. Folglich ist hier -anders als im Fall Åkerberg Fransson- auch kein wenigstens mittelbarer Bezug zu einer der „unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen“11 erkennbar.

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Der Unionsgerichtshof hat im Urteil Åkerberg Fransson ausdrücklich bekräftigt, dass seine Rechtsprechungszuständigkeit nicht begründet ist, wenn eine rechtliche Situation nicht vom Unionsrecht erfasst wird (innerstaatlicher Sachverhalt) und auch die Bestimmungen der EU-Grundrechtecharta als solche keine Zuständigkeitserweiterung begründen können12. Daran anknüpfend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Antiterrordatei13 klargestellt, das EuGH-Urteil Åkerberg Fransson dürfe nicht in der Weise verstanden und angewendet werden, dass für eine Bindung der Mitgliedstaaten durch die in der Grundrechtecharta niedergelegten Grundrechte der Europäischen Union „jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des Unionsrechts oder rein tatsächliche Auswirkungen auf dieses“ ausreiche. Dies gilt in besonderem Maße für das die Unionsrechtsordnung in vielfältiger Weise berührende, nicht harmonisierte, nationale Steuerrecht.

Soweit die Spenderin unter dem Gesichtspunkt einer „umgekehrten Inländerdiskriminierung“ eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG rügt, erschließt sich schon nicht, woraus in der hier zu beurteilenden Fallgestaltung eine Schlechterstellung (Ungleichbehandlung) der Spenderin im Verhältnis zu anderen Unionsbürgern resultieren könnte14. Insbesondere erfordert der Sonderausgabenabzug nach § 10b Abs. 1 EStG nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch bei Spenden an ausländische Empfänger eine Zuwendungsbestätigung, von der inhaltlich aus unionsrechtlichen Gründen lediglich nicht verlangt wird, dass sie dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck gemäß § 50 EStDV entspricht15. Im Streitfall scheitert die von der Spenderin begehrte Bescheidänderung indes nicht am Inhalt der Zuwendungsbestätigungen vom 27.08.2008, sondern daran, dass diese nicht lediglich nachträglich „bekannt“ geworden sind, sondern nachträglich „erstellt“ wurden.

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Gesonderte Feststellung des verbleibenden Spendenvortrags

Sonstige Änderungsvorschriften in Bezug auf den streitigen Bescheid, soweit sie neben § 10b Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG 2002 noch Anwendung finden können, stehen nicht zur Verfügung.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. Mai 2016 – X R 34/13

  1. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 22.01.2013 – IX R 11/12, BFH/NV 2013, 1069, Rz 14; Lindberg in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 10d Rz 88 f., m.w.N.[]
  2. vom 08.12 2010, BGBl I 2010, 1768[]
  3. vgl. z.B. Heuermann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz D 142 und D 156[]
  4. vgl. BFH, Urteil vom 25.11.1983 – VI R 8/82, BFHE 140, 18, BStBl II 1984, 256; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 13. Aufl., § 173 Rz 57[]
  5. ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH, Urteile vom 17.02.1993 – X R 119/90, BFH/NV 1994, 154, unter 3.a; und vom 19.07.2011 – X R 32/10, BFH/NV 2012, 179, unter II. 2.a; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10b EStG Rz 80; jeweils m.w.N.[]
  6. ebenfalls ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 25.02.2003 – VIII R 98/01, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2003, 949, unter 2.c; Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 40[]
  7. EuGH, EU:C:2011:438[]
  8. vgl. BFH, Urteil vom 11.02.2015 – I R 3/14, BFHE 249, 448, BStBl II 2015, 816, unter B.I. 1.c dd[]
  9. EuGH, EU:C:2013:105[]
  10. vgl. EuGH, Urteil Åkerberg Fransson, EU:C:2013:105, Rz 12, 24 ff.[]
  11. EuGH, Urteil Åkerberg Fransson, EU:C:2013:105, Rz 19[]
  12. EuGH, Urteil Åkerberg Fransson, EU:C:2013:105, Rz 22[]
  13. BVerfG, Urteil vom 24.04.2013 – 1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277, BGBl I 2013, 1270, unter C.[]
  14. vgl. dazu -grundlegend- Böwing-Schmalenbrock, Verbösernde Gleichheit und Inländerdiskriminierung im Steuerrecht, Diss.2010, S. 102 ff.[]
  15. BFH, Urteil vom 21.01.2015 – X R 7/13, BFHE 248, 543, BStBl II 2015, 588, unter II. 2.c[]
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