Kapitalertrag, Veräußerungsverlust – und die Emissionsrendite

Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch die Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung von sonstigen Kapitalforderungen, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c Alternative 2 EStG), soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen. Haben die Kapitalforderungen keine Emissionsrendite oder weist der Steuerpflichtige sie nicht nach, gilt gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG der Unterschiedsbetrag zwischen dem Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung als Kapitalertrag.

Kapitalertrag, Veräußerungsverlust – und die Emissionsrendite

Handelt es sich bei den Schuldverschreibungen nicht um Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, scheidet ein Ansatz der Veräußerungsverluste gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG bereits aus diesem Grunde aus. Denn die Verwirklichung des Veräußerungsverlusts gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG setzt die Veräußerung einer solchen Kapitalforderung voraus. Wenn die Schuldverschreibungen hingegen sonstige Kapitalforderungen wären, käme eine Ermittlung und Berücksichtigung der Veräußerungsverluste nach der Marktrendite gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG, die vom Anleger erstrebt wird, jedoch ebenfalls nicht in Betracht.

Unter den Begriff der Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen alle auf eine Geldleistung gerichteten Forderungen, deren Steuerbarkeit sich nicht bereits aus einem anderen Tatbestand i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 oder 8 bis 10 EStG ergibt, und zwar ohne Rücksicht auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs1. Die Regelung erfasst solche Kapitalforderungen, wenn die Kapitalrückzahlung zugesagt ist, aber die Zahlung eines Entgelts dem Grunde und der Höhe nach ungewiss ist (Alternative 1), oder die Kapitalrückzahlung nicht zugesagt ist, aber dem Gläubiger für die Kapitalüberlassung ein Entgelt zugesagt oder gewährt wird, wobei die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängen kann (Alternative 2).

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Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wurde die Zusage einer Kapitalrückzahlung verneint, wenn der Steuerpflichtige nur eine teilweise garantierte Mindestrückzahlung erhalten sollte und er im Übrigen -wegen der Anknüpfung der Kapitalrückzahlung an einen variablen Index- eindeutig das Risiko eines Kapitalausfalls eingegangen ist2. Ob der Verknüpfung der Kapitalrückzahlung mit einem Index auch die im Streitfall vorliegende Konstellation gleich zu erachten ist, dass eine Kapitalrückzahlung zwar im Fall der Kündigung der Schuldverschreibungen vorgesehen ist, aber nur der Emittent nach seinem freien Belieben die Kündigung aussprechen kann und ohne Kündigung die Laufzeit der Schuldverschreibungen unendlich ist, kann im Streitfall indes offenbleiben. Für die Ablehnung einer zugesagten Kapitalrückzahlung könnte sprechen, dass der Steuerpflichtige typischerweise darauf angewiesen ist, durch die Veräußerung der Schuldverschreibungen im Rahmen des Veräußerungserlöses auch sein eingesetztes Kapital zurückzuerhalten3. Offenbleiben kann auch die weitere Frage, ob i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Alternative 2 EStG noch ein (ungewisses) Entgelt zugesagt ist, wenn die Verpflichtung zur Kuponzahlung der Emittenten von deren Eigenkapitalausstattung abhängt und zusätzlich die Emittenten Kuponzahlungen, die aufgrund einer hinreichenden Eigenkapitalausstattung geschuldet werden, ohne Nachzahlungsverpflichtung aufschieben und verfallen lassen dürfen.

Dass im Streitjahr und den Vorjahren tatsächlich an die Anlegerin Zinsen ausgezahlt wurden, führt jedenfalls nicht zur „Gewährung“ eines (ungewissen) Entgelts i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Alternative 2 EStG. Denn der Wortlaut ist teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen nach dieser Alternative nur dann vorliegen, wenn ohne eine Vereinbarung entweder die Kapitalrückzahlung oder die Höhe eines (Mindest-)Entgelts im Vorhinein sicher feststehen4. Beides war hier nicht der Fall.

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Gleiches gilt, wenn die Schuldverschreibungen sonstige Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind. Diese weisen zwar keine Emissionsrendite auf. Dem Ansatz der Veräußerungsverluste auf Grundlage der Marktrendite steht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs der Gesetzeszweck des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entgegen.

Der Begriff der Emissionsrendite ist im Einkommensteuergesetz nicht definiert. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist als Emissionsrendite die vom Emittenten bei der Begebung der Anlage von vornherein zugesagte, eindeutig abgrenz- und bezifferbare Rendite zu verstehen, die bis zur Einlösung des Papiers bzw. Endfälligkeit der Kapitalforderung mit Sicherheit erzielt werden kann5.

Maßgeblich für die Prüfung des Vorliegens einer Emissionsrendite ist die Ausgestaltung der fraglichen Wertpapiere oder Kapitalforderungen im Zeitpunkt der Emission6.

Hängt die Höhe der Kapitalerträge von ungewissen Ereignissen in der Zukunft ab, fehlt es an einer endgültig bezifferbaren Emissionsrendite im Zeitpunkt der Emission7.

Die Schuldverschreibungen haben nach den vorstehenden Grundsätzen keine Emissionsrendite. Bei beiden Schuldverschreibungen schloss sich an eine festverzinsliche Phase eine variable Verzinsung an, die nach der -jederzeit nach den Verhältnissen des Kapitalmarkts änderbaren- Differenz zwischen dem 10-Jahres Euro Swapsatz und dem 2-Jahres Euro Swapsatz zum jeweiligen Fixing bemessen und an bestimmte Ober- und Untergrenzen sowie an die Eigenkapitalausstattung der Emittenten sowie daran gebunden war, dass die Verzinsung nicht aufgeschoben wurde. Die Zinsuntergrenzen der Schuldverschreibungen führen nicht zur Annahme einer Emissionsrendite. Soweit der Bundesfinanzhof eine zugesagte Mindestrendite, die nicht dem Kapitalmarktzins im Zeitpunkt der Emission entspricht, als Emissionsrendite angesehen hat8, gilt dies nur in Fällen, in denen diese Verzinsung von vornherein feststeht, nicht aber, wenn wie im Streitfall die Verzinsung von unkalkulierbaren Ereignissen abhängt. Letzteres war im Hinblick auf die sich stetig ändernden Referenzzinssätze und die weiteren Bedingungen für eine Zinszahlung aus der Sphäre der Emittenten der Fall.

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Grundsätzlich wäre nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG daher eine Besteuerung nach der Marktrendite geboten9. Jedoch steht der Gesetzeszweck dem Ansatz der Marktrendite entgegen. Demgemäß sind die Verluste aus der Veräußerung der hier zu beurteilenden Schuldverschreibungen auch nicht gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG einkommensmindernd zu berücksichtigen, wenn die Schuldverschreibungen sonstige Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG wären.

Wie der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil in BFHE 216, 79, BStBl II 2007, 555 entschieden hat, wollte der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG durch das Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21.12 199310 nicht jegliche Wertveränderung im Vermögensstamm erfassen, sondern lediglich solche Kapitalanlagen, bei denen an sich steuerpflichtige Zinserträge als steuerfreier Wertzuwachs konstruiert werden11. Diese Kapitalanlagen machten sich den Umstand zunutze, dass nach bis dahin gültigem Recht im Privatvermögen zwischen steuerpflichtigen Kapitalerträgen (z.B. Zinsen) und steuerfreien Vermögensmehrungen zu unterscheiden war12. Der Gesetzgeber wollte sicherstellen, „dass Vorteile, die unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrer zivilrechtlichen Gestaltung bei wirtschaftlicher Betrachtung für die Überlassung von Kapitalvermögen zur Nutzung erzielt werden, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören“11.

Bei den Schuldverschreibungen sind diese Besonderheiten nicht gegeben. Ähnlich wie bei „einfachen Floatern“13 gibt es weder verdeckte Zinserträge noch eine Vermengung von Ertrags- und Vermögensebene. Der Zinsertrag beider Schuldverschreibungen liegt vielmehr offen und ist im Streitfall im Nachhinein ohne jede Schwierigkeit zu ermitteln. Der Unterschied zu „einfachen Floatern“ besteht lediglich darin, dass bei den Schuldverschreibungen zunächst ein Zeitraum mit einer festen Verzinsung vorgesehen ist, an den sich dann eine variable Verzinsung anschließt, die sich aus einer Differenz der -jederzeit veränderbaren- Bezugsgrößen des 10-Jahres Euro Swapsatzes und des 2-Jahres Euro Swapsatzes zusammensetzt. Die Höhe der Verzinsung ist damit entscheidend von diesen Referenzzinssätzen abhängig; steigen diese, erhöht sich die Verzinsung bis zu einer bestimmten Obergrenze, fallen sie, ermäßigt sich die Verzinsung bis zu einer bestimmten Untergrenze.

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Die Veräußerungsverluste aus den Schuldverschreibungen sind daher im hier entschiedenen Fall nicht zu berücksichtigen. Ob das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung und ihm folgend das Finanzgericht zu Recht die Zinseinnahmen des Streitjahres mangels Vorliegens sonstiger Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG als nicht steuerbar und die korrespondierenden Werbungs- und Veräußerungskosten als nicht abzugsfähig angesehen haben, ist vorliegend vom Bundesfinanzhof nicht zu entscheiden. Denn selbst wenn die hieraus resultierenden Einkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtig wären, wäre der Bundesfinanzhof aufgrund des Verböserungsverbots (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) daran gehindert, diese im Einkommensteuerbescheid zu erfassen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 27. Oktober 2015 – VIII R 70/13

  1. BFH, Urteil vom 12.05.2015 – VIII R 35/14, BFHE 250, 71, BStBl II 2015, 834[]
  2. BFH, Urteil vom 04.12 2007 – VIII R 53/05, BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563, unter II. 1.d bb[]
  3. siehe zu den Argumenten für die eine oder andere Sichtweise Haberland, BB 2014, 2328, 2330[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563, unter II. 1.c aa[]
  5. BFH, Urteile in BFHE 193, 374, BStBl II 2001, 97; vom 13.12 2006 – VIII R 79/03, BFHE 216, 187, BStBl II 2007, 562; vom 26.06.2012 – VIII R 40/10, BFH/NV 2013, 346; vom 17.12 2013 – VIII R 42/12, BFHE 244, 36, BStBl II 2014, 319; vom 05.11.2014 – VIII R 28/11, BFHE 248, 5, BStBl II 2015, 276; in BFHE 249, 228, BStBl II 2015, 693[]
  6. ständige Rechtsprechung, vgl. dazu im Einzelnen mit Nachweisen die BFH, Urteile vom 13.12 2006 – VIII R 62/04, BFHE 216, 199, BStBl II 2007, 568; vom 20.11.2006 – VIII R 97/02, BFHE 216, 79, BStBl II 2007, 555; vom 11.07.2006 – VIII R 67/04, BFHE 215, 86, BStBl II 2007, 553; vom 13.12 2006 – VIII R 6/05, BFHE 216, 206, BStBl II 2007, 571[]
  7. BFH, Urteil in BFHE 249, 228, BStBl II 2015, 693 zu „Par-Schuldverschreibungen“ wegen Abhängigkeit der Emissionsrendite von der ungewissen BIP-Entwicklung der Republik Argentinien[]
  8. BFH, Urteil in BFHE 248, 5, BStBl II 2015, 276, Rz 21[]
  9. vgl. dazu BFH, Urteil in BFHE 244, 36, BStBl II 2014, 319, unter Rz 13 zu teilweise vergleichbaren nachrangigen Hybridanleihen[]
  10. BGBl I 1993, 2310[]
  11. vgl. BT-Drs. 12/5630, S. 59[][]
  12. vgl. BT-Drs. 12/6078, S. 116[]
  13. vgl. dazu BFH, Urteil in BFHE 216, 79, BStBl II 2007, 555[]
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