Ungleichbehandlung von Ledigen und Verheirateten im Steuerrecht

Die Annahme, Art. 3 Abs. 1 GG verbiete eine unzulässige Privilegierung Verheirateter gegenüber Ledigen, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Eine solche Auffassung verkennt das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG.

Ungleichbehandlung von Ledigen und Verheirateten im Steuerrecht

Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen1. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird2. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Normgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen3.

Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können4. Eine strengere Bindung des Normgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben5. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind6 oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern7.

Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden8. Der Gleichheitssatz belässt dem Normgeber einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes9. Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich indessen ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands)10. Demgemäß bedürfen sie eines besonderen sachlichen Grundes11, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag12. Dabei steigen die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit Umfang und Ausmaß der Abweichung13.

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Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Damit garantiert die Verfassung nicht nur das Institut der Ehe, sondern gebietet als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung14. Um diesem Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt, und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern15. Das gilt namentlich im Steuerrecht16.

Wegen des verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderauftrages ist der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt, die Ehe als rechtlich verbindliche und in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstandspflichten (etwa bei Krankheit oder Mittellosigkeit) ausgestattete dauerhafte Paarbeziehung gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen17. Dies gilt insbesondere im Verhältnis zu ungebundenen Partnerbeziehungen18. Die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG bildet einen sachlichen Differenzierungsgrund, der in erster Linie zur Rechtfertigung einer Besserstellung der Ehe gegenüber anderen, durch ein geringeres Maß an wechselseitiger Pflichtbindung geprägten Lebensgemeinschaften geeignet ist19. Daneben gestattet Art. 6 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber aber auch, die besonderen, auch gesamtgesellschaftlich dienlichen Lasten, die jeder Ehegatte mit dem Eingehen der Ehe übernimmt, durch die Gewährung einfachgesetzlicher Privilegierungen etwa bei Unterhalt, Versorgung, im Pflichtteils- oder im Steuerrecht zumindest teilweise auszugleichen und damit die Ehe besser zu stellen als weniger verbindliche Paarbeziehungen.

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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die mit einer wortlautgetreuen Anwendung der hier streitgegenständlichen Ausnahmetatbestände einer kommunalen Zweitwohnungsteuersatzung einhergehende Ungleichbehandlung von verheirateten, nicht dauernd getrennt lebenden Personen und Ledigen durch das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Der besondere Schutz, unter den Art. 6 Abs. 1 GG die Ehe als besondere Verantwortungsbeziehung stellt, erlaubt es einem Satzungsgeber, bei der Zweitwohnungsteuererhebung – vorbehaltlich der Vermeidung anderweitiger Verstöße gegen höherrangiges Recht – verheiratete, nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten im Verhältnis zu ungebundenen Partnerbeziehungen besserzustellen20, indem er sie von der Steuerpflicht ausnimmt.

Das von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte eheliche Zusammenleben umfasst die Entscheidung der Eheleute, zusammenzuwohnen21. Zur Ehe als einer auf Dauer angelegten Gemeinschaft22 gehört, dass diese Entscheidung zur gemeinsamen Wohnung auch bei einer beruflichen Veränderung eines Ehegatten, die mit einem Ortswechsel verbunden ist, aufrechterhalten bleibt. Ändert sich der Beschäftigungsort eines Ehegatten, so dass dieser seiner Arbeit nicht mehr von der bisherigen gemeinsamen Wohnung aus nachgehen kann, hat dies in aller Regel nicht zur Folge, dass die gemeinsame Wohnung aufgegeben wird. Entweder werden die Ehegatten ihre Wohnung an den neuen Arbeitsort verlegen oder der von der beruflichen Veränderung betroffene Ehegatte wird einen zusätzlichen Wohnsitz begründen, ohne den gemeinsamen Ehewohnsitz aufzugeben. Gleiches gilt, wenn die Ehegatten schon bei der Eheschließung ihrer Berufstätigkeit nicht von einer Wohnung aus nachgehen können. Auch dann ist die Begründung einer gemeinsamen Wohnung durch die Eheleute und die Nutzung der Zweitwohnung nur für die Berufsausübung eine spezifische Ausprägung des ehelichen Zusammenlebens23. Die Innehabung einer Zweitwohnung ist sonach die notwendige Konsequenz der Entscheidung zu einer gemeinsamen Ehewohnung an einem anderen Ort. Gerade in der aus beruflichen Gründen gehaltenen Zweitwohnung manifestiert sich der Wunsch der Ehegatten nach gemeinsamem Zusammenleben24.

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Von der steuerlichen Belastung durch die Zweitwohnungsteuer werden solche Personen nicht erfasst, die nicht infolge einer ehelichen Bindung von der Verlegung ihres Hauptwohnsitzes an ihren Beschäftigungsort abgehalten werden24. Die Zweitwohnungsteuer stellt daher eine besondere finanzielle Belastung einer von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ausprägung des ehelichen Zusammenlebens dar. Bei den finanziellen Aufwendungen für die Innehabung einer Zweitwohnung handelt es sich um einen zwangsläufigen Aufwand für die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf unter Bedingungen hoher Mobilität25. Die Besteuerung führt zu einer ökonomischen Entwertung der Berufstätigkeit an einem anderen Ort als dem der Ehewohnung, die sich erschwerend auf die Vereinbarkeit von Ehe und Berufsausübung an unterschiedlichen Orten auswirkt26.

Es steht dem Satzungsgeber frei, verheiratete und nicht dauernd getrennt lebende Inhaber von Nebenwohnungen von diesen finanziellen Belastungen auszunehmen. Gegen die Annahme, dass familiäre Bindungen am Ort der gemeinsamen Wohnung der Eheleute verheiratete Personen regelmäßig daran hindern werden, ihren vorwiegenden Aufenthalt an den Ort der Beschäftigung zu verlegen, ist, da Ehe und Familie auf Zusammenleben ausgerichtet sind, verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Der Satzungsgeber darf in typisierender Betrachtung davon ausgehen, dass Verheirateten im Unterschied zu ungebundenen Personen nicht ohne Weiteres die Möglichkeit offensteht, durch schlichte Verlagerung des Lebensmittelpunkts an den Ort der Beschäftigung der Zweitwohnungsteuerpflicht zu entgehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – minderjährige Kinder vorhanden sind. Aber auch kinderlose Ehegatten, die an verschiedenen Orten berufstätig sind, müssen sich im Unterschied zu Ledigen bei der Wahl des Familienwohnsitzes in besonderer Weise abstimmen und aufeinander Rücksicht nehmen.

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Eine solche Privilegierung Verheirateter erfolgt nicht nach Kriterien, deren Verwendung bereits deshalb unzulässig wäre, weil sie dem Wesen einer Aufwandsteuer nicht entsprächen27. Die streitgegenständlichen Befreiungstatbestände stellen bei wortlautgetreuer Anwendung nicht differenzierend auf den Zweck des Aufenthalts in den Gemeinden der Satzungsgeber ab.

Dem steht nicht entgegen, dass mit § 2 Nr. 2 Buchstabe c ZwStS F, § 2 Abs. 3 Nr. 3 ZwStS M solche Wohnungen nicht als Zweitwohnungen gelten, die „aus beruflichen Gründen“ gehalten werden28. Hierbei handelt es sich nur scheinbar um eine wertende Berücksichtigung der Gründe für den Aufenthalt zum Zwecke der Abgrenzung des Kreises der Steuerpflichtigen. Der maßgebliche Differenzierungsgrund liegt vielmehr darin, dass es sich um Nebenwohnungen handelt, die verheiratete und nicht dauernd getrennt lebende Personen in den Gemeinden der Satzungsgeber innehaben, sofern sich die Hauptwohnung der Eheleute außerhalb der jeweiligen Gemeinde befindet. Die streitgegenständlichen Ausnahmeregelungen knüpfen damit an den Familienstand und an die auswärtige Lage der Wohnung der Familie an. Die Vorschriften stellen daher keine Ausnahme von der Steuerpflicht wegen des mit dem Innehaben der Wohnung verfolgten Zwecks, das heißt der Erreichbarkeit der Arbeitsstelle, dar; vielmehr befreien die Vorschriften die von ihnen gekennzeichneten Personen von der Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer wegen der bei ihnen bestehenden ehelichen und familiären Bindungen und der durch das Auseinanderfallen von Familienwohnort und Beschäftigungsort hervorgerufenen Belastungen29.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31. Oktober 2016 – 1 BvR 871/13

  1. vgl. BVerfGE 121, 108, 119; 121, 317, 370; 126, 400, 416[]
  2. vgl. BVerfGE 116, 164, 180; 121, 108, 119; 121, 317, 370; 126, 400, 416; 138, 136, 180 Rn. 121[]
  3. vgl. BVerfGE 75, 108, 157; 93, 319, 348 f.; 107, 27, 46; 126, 400, 416; 129, 49, 69; 132, 179, 188 Rn. 30; 138, 136, 180 Rn. 121; 139, 285, 309 Rn. 70[]
  4. vgl. BVerfGE 117, 1, 30; 122, 1, 23; 126, 400, 416; 129, 49, 68[]
  5. vgl. BVerfGE 88, 87, 96; 111, 176, 184; 129, 49, 69[]
  6. vgl. BVerfGE 88, 87, 96; 129, 49, 69[]
  7. vgl. BVerfGE 88, 87, 96; 124, 199, 220; 129, 49, 69; 130, 240, 254; 132, 179, 188 f. Rn. 31; 138, 136, 180 f. Rn. 122; 139, 285, 309 Rn. 71[]
  8. vgl. BVerfGE 117, 1, 30; 121, 108, 120; 126, 400, 417[]
  9. vgl. BVerfGE 123, 1, 19; stRspr[]
  10. vgl. BVerfGE 117, 1, 30 f.; 120, 1, 29; 121, 108, 120; 126, 400, 417; 139, 285, 309 f. Rn. 72; BVerfG, Beschluss vom 15.12 2015 – 2 BvL 1/12, NJW 2016, S. 1295, 1304 Rn. 96[]
  11. vgl. BVerfGE 117, 1, 31; 120, 1, 29; 126, 400, 417; 132, 179, 189 Rn. 32[]
  12. vgl. BVerfGE 139, 285, 310 Rn. 72; BVerfG, Beschluss vom 15.12 2015 – 2 BvL 1/12, NJW 2016, S. 1295, 1304 Rn. 96[]
  13. vgl. dazu BVerfGE 117, 1, 32; 138, 136, 181 Rn. 123[]
  14. vgl. BVerfGE 6, 55, 72; 55, 114, 126; 105, 313, 346; 131, 239, 259; 133, 377, 409 Rn. 81[]
  15. vgl. BVerfGE 6, 55, 76; 28, 104, 113; 53, 224, 248; 76, 1, 41; 80, 81, 92 f.; 99, 216, 231 f.; 131, 239, 259; 133, 377, 409 f. Rn. 81[]
  16. vgl. BVerfGE 133, 377, 410 Rn. 81[]
  17. vgl. BVerfGE 6, 55, 76 f.; 105, 313, 348; 117, 316, 328 f.; 124, 199, 225; 131, 239, 259; 133, 377, 410 Rn. 83; stRspr[]
  18. vgl. BVerfGE 117, 316, 327; 133, 377, 411 Rn. 83[]
  19. vgl. hierzu etwa BVerfGE 10, 59, 66; 112, 50, 65; 115, 1, 19; 117, 316, 327; 124, 199, 225; 131, 239, 259; 133, 377, 410 Rn. 83[]
  20. vgl. BVerfGE 117, 316, 327[]
  21. vgl. BVerfGE 114, 316, 335[]
  22. vgl. BVerfGE 10, 59, 66; 31, 58, 82 f.; 53, 224, 245; 62, 323, 330[]
  23. BVerfGE 114, 316, 335[]
  24. BVerfGE 114, 316, 336[][]
  25. vgl. BVerfGE 107, 27, 53; 114, 316, 336[]
  26. vgl. BVerfGE 107, 27, 56; 114, 316, 316 f.[]
  27. vgl. hierzu BVerfGE 65, 325, 357[]
  28. so – im Ergebnis – schon BVerfGE 114, 316, 335[]
  29. zutreffend so bereits VG Köln, Urteil vom 16.06.2010 – 21 K 5193/08 41[]
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