Kommunalabgabenbescheide – und die Bekanntgabefiktion

Die Feststellungsklage – und nicht eine Anfechtungsklage – ist in Ansehung des Vortrags, Abgabenbescheide seien ihrem Adressaten nicht zugegangen bzw. nicht wirksam bekanntgegeben worden, statthaft.

Kommunalabgabenbescheide – und die Bekanntgabefiktion

Die Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 1. Halbsatz Nr. 1 AO setzt nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung voraus, dass die Aufgabe zur Post erfolgt ist bzw. feststeht, an welchem Tag die Aufgabe zur Post erfolgt ist. Die Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ist nicht anwendbar, wenn der Tag der Aufgabe des Verwaltungsakts nicht feststeht.

Insoweit ist die Behörde – materiell – beweispflichtig, dass der Abgabenbescheid ihren Bereich rechtzeitig bzw. zu dem von ihr behaupteten Datum verlassen hat. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Bescheid nach feststehender Aufgabe zur Post tatsächlich zugegangen ist. Nur in diesem Zusammenhang kann sich die weitere Frage stellen, ob insbesondere die Abgabenpflichtige den Zugang derart in Zweifel gezogen hat, dass die Nachweispflicht der Behörde gemäß § 122 Abs. 2 2. Halbsatz AO greift.

Zulässigkeit der Feststellungsklage

Die Feststellungsklage – und nicht eine Anfechtungsklage – ist in Ansehung des zentralen Vortrags der Grundstückseigentümerin, die Abgabenbescheide (hier: Bescheide über einen Straßenbaubeitrag) seien ihr nicht zugegangen bzw. nicht wirksam bekanntgegeben worden, statthaft. Soweit in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung angenommen wird, auch Nichtverwaltungsakte lösten als Äußerung einer mit staatlicher Autorität ausgestatteten Behörde scheinbar Rechtswirkungen aus und könnten deshalb aus praktischen Gründen gleichwohl angefochten und aufgehoben werden bzw. sei eine Anfechtungsklage statthaft1, folgt das Oberverwaltungsgericht dem nicht.

Vielmehr ist die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft bzw. zulässig. Durch Klage kann gemäß § 43 Abs. 1 VwGO die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage). Ebenso wie in dem Fall, dass der Kläger einen Bescheid für nichtig hält, gilt dies in gleicher Weise, soweit der Kläger einen Bescheid für nicht wirksam geworden hält. Wäre ein Abgabenbescheid gar nicht oder mit der Folge fehlerhaft bekanntgegeben worden, dass er nach § 124 Abs. 1 AO dem Adressaten gegenüber Wirksamkeit nicht erlangt hätte, handelte es sich um einen rechtlich nicht existent gewordenen Bescheid (Nichtakt), der in seiner rechtlichen Unwirksamkeit einem nichtigen Verwaltungsakt gleicht. Den Erfordernissen eines hinreichenden Rechtsschutzes entspricht es, auch mit Blick auf ihn die Feststellungsklage des § 43 Abs. 1 VwGO für statthaft zu halten. Die Frage der Wirksamkeit der Beitragsbescheide stellt namentlich ein Rechtsverhältnis dar, dessen Bestehen oder Nichtbestehen Gegenstand einer gerichtlichen Feststellung sein kann. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht. Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist2. Mit einer solchen Feststellungsklage wird dann freilich nicht die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts – zweite Alternative des § 43 Abs. 1 VwGO, sondern die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses – erste Alternative des § 43 Abs. 1 VwGO – begehrt, und zwar die Feststellung, dass der Verwaltungsakt nicht wirksam (geworden) ist und deshalb die mit ihm beabsichtigte Regelung nicht erreicht hat3. Die Feststellungsklage der Grundstückseigentümerin ist nach diesem Maßstab statthaft. Sie begehrt die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses in Gestalt der Feststellung, dass die Beitragsbescheide vom 11.12 2008 nicht wirksam geworden sind und deshalb die mit ihnen beabsichtigte Regelung nicht erreicht bzw. die Grundstückseigentümerin durch sie nicht wirksam zur Beitragszahlung verpflichtet worden ist.

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Das insoweit im Besonderen in den Blick zu nehmende Rechtsschutzinteresse4 der Grundstückseigentümerin ist jedenfalls mit Blick auf die an sie gerichteten Mahnungen ohne Weiteres zu bejahen, da diese offensichtlich von scheinbar rechtwirksam gewordenen Beitragsbescheiden ausgingen bzw. der Amtsvorsteher danach an letztere Rechtsfolgen knüpfen will.

Das in § 43 Abs. 1 VwGO geforderte berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung liegt ebenfalls vor. Es ist nicht gleichbedeutend mit einem „rechtlichen Interesse“, sondern schließt darüber hinaus jedes als schutzwürdig anzu Interesse, insbesondere auch wirtschaftlicher oder ideeller Art, ein. Daraus folgt indessen nicht, dass jeder in diesem Sinne Interessierte auch ohne eigene Rechtsbetroffenheit Feststellungsklage erheben kann. Auf diese Klage ist vielmehr die Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO entsprechend anzuwenden. Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 43 Abs. 1 1. Alt. VwGO) sind nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein, entweder weil er an dem festzustellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist oder weil von dem Rechtsverhältnis eigene Rechte abhängen. Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die an die Frage der Wirksamkeit/Unwirksamkeit der Beitragsbescheide unmittelbar anknüpfenden belastenden oder eben nicht belastenden Folgen offensichtlich vor.

Bekanntgabe der Beitragsbescheide

Ein Verwaltungsakt wird gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird.

Der Amtsvorsteher macht durchgängig geltend, die streitgegenständlichen Bescheide seien zum Zwecke der Bekanntgabe am 12.12 2008 an die Grundstückseigentümerin versandt worden. Die Grundstückseigentümerin bestreitet indes den Zugang und damit die Bekanntgabe der streitgegenständlichen Bescheide. Ihr Zugang konnte durch das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht festgestellt werden; der materiell beweispflichtige Amtsvorsteher konnte den Zugang nicht nachweisen. Dies geht nach Maßgabe des „Günstigkeitsprinzips“ zu seinen Lasten.

Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass für die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts § 130 BGB analog anzuwenden und darauf abzustellen ist, wann bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse des Empfängers mit der Kenntnisnahme durch ihn zu rechnen ist5. Da die Behörde die Kenntnisnahme selbst nicht bewirken kann, reicht insoweit wie bei der zivilrechtlichen Willenserklärung die Möglichkeit der Kenntnisnahme aus. Zentrale Voraussetzung ist deshalb bei schriftlichen Verwaltungsakten ihr Zugang gemäß § 130 BGBeschluss Ein Schriftstück ist bereits dann zugegangen, wenn es derart in den Machtbereich des Empfängers (Inhaltsadressaten) gelangt ist, dass dieser unter Ausschluss unbefugter Dritter von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann6.

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Die Grundstückseigentümerin bestreitet, dass ihr die angefochtenen Bescheide zugegangen bzw. in ihren Machtbereich gelangt sind. Tatsachen und insbesondere bestimmte Verhaltensweisen der Grundstückseigentümerin, aus denen (indiziell) zu schließen wäre, sie habe die Beitragsbescheide tatsächlich erhalten, konnte das Oberverwaltungsgericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht feststellen. Umstände, aus denen auf eine Zugangsvereitelung und auf Verstöße gegen Mitwirkungspflichten der Empfängerin (etwa im Zusammenhang mit der Namensänderung der Grundstückseigentümerin) geschlossen werden könnte, sind substantiiert weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Widersprüchliches Verhalten der abgabepflichtigen Grundstückseigentümerin ist ebenso wenig feststellbar7. Sie hat sich im Gegenteil insbesondere in Ansehung ihres Schreibens vom 11.02.2009 „folgerichtig“ verhalten. Nach Lage der Dinge ist der tatsächliche Zugang der streitgegenständlichen Bescheide bei der Grundstückseigentümerin für das Oberverwaltungsgericht nicht aufklärbar; nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten sind keine weiteren Beweismittel benannt oder ersichtlich, die den Zugang als aufklärbar erscheinen ließen. Der Amtsvorsteher ist mit Blick auf die ihn treffende materielle Beweislast nicht dazu in der Lage, den tatsächlichen Zugang zu beweisen. Dies geht nach Maßgabe des „Günstigkeitsprinzips“ zu seinen Lasten.

Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts liegen auch die Voraussetzungen für das Eingreifen der Zugangsfiktion nach § 122 Abs. 2 1. Halbsatz Nr. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V nicht vor. Soweit das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, zu seiner Überzeugung stehe aufgrund des Vermerkes auf den Bescheiden „PA 12.12.2008“ und den Ausführungen des Amtsvorstehers in der mündlichen Verhandlung fest, dass die Bescheide am 12.12 2008 in den Postlauf gelangt seien, so dass die Zugangsvermutung eingreife, vermag das Oberverwaltungsgericht dem nicht zu folgen.

Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, gilt gemäß § 122 Abs. 2 1. Halbsatz Nr. 1 AO bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Für das Eingreifen der Fiktion kommt es dabei grundsätzlich nicht darauf an, ob die Bescheide an die „Deutsche Post AG“ oder einem privaten Postdienstleister übergeben werden8.

Die Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 1. Halbsatz Nr. 1 AO setzt nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung und der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hierzu voraus, dass die Aufgabe zur Post erfolgt ist bzw. feststeht, an welchem Tag die Aufgabe zur Post erfolgt ist. Die Vermutung des Zuganges knüpft also an das Datum der Aufgabe des Bescheides zur Post an, die Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ist nicht anwendbar, wenn der Tag der Aufgabe des Verwaltungsakts nicht feststeht; dieses ergibt sich insbesondere nicht zwingend aus dem Bescheiddatum9. Insoweit ist die Behörde – materiell – beweispflichtig, dass der Abgabenbescheid ihren Bereich rechtzeitig bzw. zu dem von ihr behaupteten Datum verlassen hat10. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Bescheid nach feststehender Aufgabe zur Post tatsächlich zugegangen ist. Nur in diesem Zusammenhang kann sich die weitere Frage stellen, ob insbesondere die Abgabenpflichtige den Zugang derart in Zweifel gezogen hat, dass die Nachweispflicht der Behörde gemäß § 122 Abs. 2 2. Halbsatz AO greift.

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Diese Systematik hat das Verwaltungsgericht verkannt, wenn es ausführt, Zweifel daran, dass die Handhabung durch den Amtsvorsteher im vorliegenden Fall anders gewesen sein könnte als in der mündlichen Verhandlung geschildert, bestünden nicht, auch die Grundstückseigentümerin habe keine substantiierten Tatsachen vorgetragen, welche die Behauptung einer späteren Absendung schlüssig erscheinen ließen. Nicht die Grundstückseigentümerin muss entsprechend vortragen, vielmehr muss der Amtsvorsteher die Aufgabe zur Post bzw. das Aufgabedatum nachweisen.

Auch eine Behörde ist insoweit zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet11. Dafür reichen die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle ebenso wenig aus wie ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese Postausgangsstelle weiterleitet. Vielmehr ist regelmäßig ein Absendevermerk der Poststelle erforderlich. Liegt ein solcher Vermerk nicht vor, muss das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beurteilen, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen hält oder nicht12; die Regeln des Anscheinsbeweises sind insoweit nicht anwendbar13.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes steht die Aufgabe bzw. der Tag der Aufgabe der streitgegenständlichen Bescheide zur Post nicht fest14; folglich greift die Fiktion des § 122 Abs. 2 1. Halbsatz Nr. 1 AO nicht ein.

Auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts, was der Vermerk „PA 12.12.2008“ zu bedeuten habe, hat die zuständige Sachbearbeiterin des Amtsvorstehers in der mündlichen Verhandlung erklärt: „Ja, ich mache immer so einen Vermerk auf die Bescheide. PA heißt im Prinzip ich hab den Bescheid gefertigt, hab ihn zur Unterschrift vorgelegt und dann gebe ich den Bescheid zur Poststelle in unserem Haus in die Kanzlei und da gehört es dann zum Tagesgeschäft, dass diese an dem gleichen Tag abgeschickt werden, PA heißt zur Poststelle am 12.12.2008“. Bei dem Vermerk „PA 12.12.2008“ handelt es sich hiervon ausgehend also um einen bloßen Abgangsvermerk der sachbearbeitenden Stelle beim Amtsvorsteher, die die Bescheide an die Postausgangsstelle weitergeleitet hat. Der anschließend regelmäßig erforderliche Absendevermerk der Postausgangsstelle fehlt hingegen. Der Erklärung der Sachbearbeiterin lässt sich auch nicht die Versicherung eines bestimmten Absendedatums entnehmen; sie teilt nur das Datum der Übergabe an die Poststelle mit.

Ein solcher Absendevermerk lässt sich auch nicht den beim Amtsvorsteher – nach Maßgabe einer Dienstanweisung vom 30.10.2001 – geführten Postein- und -ausgangsbüchern entnehmen. Auf die gerichtliche Nachfrage, ob im Zeitpunkt der vom Amtsvorsteher behaupteten Versendung der streitgegenständlichen Bescheide auf der Poststelle ein Postausgangsbuch15 geführt worden sei oder ob auf sonstige Weise der Nachweis geführt werden könne, dass die Bescheide die Poststelle verlassen haben, hat der Amtsvorsteher mitgeteilt, die Postein- und Ausgangsbücher würden in der Poststelle/Sekretariat handschriftlich geführt. Leider seien die Postein- und Ausgangsbücher des streitgegenständlichen Zeitraumes bei der Beräumung des Archivs aufgrund der abgelaufenen Aufbewahrungsfrist vernichtet worden. Damit hat sich der Amtsvorsteher der für an sich ohne Weiteres bestehenden Möglichkeit, die Absendung zu beweisen, selbst beraubt.

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Der Vortrag, es gehöre in der Kanzlei zum Tagesgeschäft, dass die die dorthin gebrachten Bescheide am gleichen Tag abgeschickt werden, ist zu pauschal und unkonkret, um mit hinreichender Gewissheit annehmen zu können, die streitgegenständlichen Bescheide seien tatsächlich am 12.12 2008 an den beauftragten Postdienstleister übergeben worden. Dazu ist anzumerken, dass insoweit z. Beschluss offen geblieben ist, wie die Absendung am selben Tag bewerkstelligt wird, wenn die zu versendenden Bescheide erst am Ende des Arbeitstages („Dienstschluss“) auf der Kanzlei eingehen.

Im Hinblick auf die in Erledigung der erwähnten gerichtlichen Verfügung ferner übersandte – handschriftliche – Aufstellung zu sämtlichen am 02.12 2008 vom Amtsvorsteher erstellten Straßenbaubeitragsbescheiden in Bezug auf den beauftragten Zustelldienst, den Postausgang (PA), Widersprüche, Stundungsanträge und Bezahlungen ist schon nicht ersichtlich, wann, von wem und zu welchem Zweck die Aufstellung gefertigt worden ist. Insbesondere sind die darin dokumentierten „Postausgangsdaten“ nicht nachvollziehbar. Gemeint sind hier offensichtlich wieder die Daten, unter denen die Bescheide an die Postausgangsstelle übergeben worden sind, also nicht etwa die tatsächlichen Absendedaten.

Zudem kann der Vortrag des Amtsvorstehers, auch die an die Grundstückseigentümerin gerichteten Bescheide seien am 03.12 2008 zum ersten Mal in den Postlauf gelangt, aufgrund einer dem Katasterverzeichnis entnommenen falschen Anschrift seien die Bescheide als nicht zustellbar zurückgekommen und mit korrigierter Anschrift am 11.12 2008 neu erstellt und am 12.12 2008 erneut in den Postlauf gegeben worden, dahingehend bewertet werden, dass gerade in Ansehung dieser Bescheide nicht alles „normal“ gelaufen ist. Der Umstand für sich allein gesehen, dass es keinen Rücklauf seitens des beauftragten Postunternehmens gab, ist offensichtlich kein hinreichendes Indiz für eine erfolgte Absendung: Auch im Falle der unterbliebenen Absendung hätte es keinen Rücklauf geben können.

Weitere Beweismittel für eine Absendung sind vom Amtsvorsteher weder benannt worden noch wären solche ersichtlich. Schließlich handelte es sich bei der Beitragserhebung anlässlich der Ausbaumaßnahme nicht um ein Massenverfahren, das ggf. möglicherweise eine weniger strenge Betrachtung erforderte.

Nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten stehen demnach auch die Aufgabe der Bescheide zur Post und das behauptete Absendedatum nicht fest bzw. ist es dem insoweit materiell beweispflichtigen Amtsvorsteher nicht gelungen, den entsprechenden Beweis für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 122 Abs. 2 1. Halbsatz Nr. 1 AO bzw. der Zugangsvermutung zu erbringen. Auch dies wirkt sich unter Zugrundelegung des „Günstigkeitsprinzips“ zu Lasten des Amtsvorstehers aus.

Fehlt es damit bereits an den Voraussetzungen für das Eingreifen der Zugangsfiktion, kommt es auf die nachrangige Frage, ob eine Ausnahme von der Zugangsvermutung anzunehmen ist, weil es der Grundstückseigentümerin gelungen wäre, mit ihrem Vorbringen Zweifel an einem Zugang zu wecken, nicht mehr an.

Der nach alledem zugrunde zu legenden Bekanntgabemangel ist auch nicht durch den Erlass und die Zustellung der Widerspruchsbescheide vom 19.08.2009 geheilt worden, weil der Widerspruchsbescheid die Widersprüche der Grundstückseigentümerin ausschließlich als unzulässig zurückwies, sich daher nicht mit dem Inhalt der Beitragsbescheide befasst hat und jegliche inhaltliche Bezugnahme auf die nicht wirksam gewordene Beitragsfestsetzung, ggf. deren inhaltliche Wiederholung etc. vermissen lässt16. Insoweit kann der erforderliche Bekanntgabewillen nicht festgestellt werden. Die Annahme eines solchen scheidet auch deshalb aus, weil der Amtsvorsteher ausweislich der Begründung der Beitragsbescheide (endgültige Herstellung der Anlage in 2004) und der Verwaltungsvorgänge (Eingang der letzten Unternehmerrechnung in 2004) offensichtlich selbst davon ausgegangen ist, eine Bekanntgabe im Zeitpunkt der Zustellung der Widerspruchsbescheide könne eine inzwischen eingetretene Festsetzungsverjährung nicht mehr beseitigen; folglich machte die Annahme eines Bekanntgabewillens gerade aus seiner Sicht keinen Sinn.

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Eine Bekanntgabe der streitgegenständlichen Abgabenbescheide kann auch nicht in der Übersendung von Kopien der Bescheide an die Grundstückseigentümerin mit Schreiben des Amtsvorstehers vom 23.02.2009 erblickt werden17. Auch insoweit gilt, dass ein ohne Bekanntgabewillen zur Kenntnis gebrachter Verwaltungsakt keine Wirksamkeit erlangt18. Der Bekanntgabewille fehlt, wenn die Übersendung eines Schriftstücks nicht zu dem Zweck erfolgt, die an eine Bekanntgabe geknüpften Rechtsfolgen herbeizuführen, sondern nur der Information des Empfängers über den Inhalt eines bei den Akten befindlichen Schriftstücks dienen soll19. Ob die nochmalige Bekanntgabe einer behördlichen Verfügung als anfechtbarer Verwaltungsakt oder nur als Übersendung einer Zweitschrift ohne selbständig anfechtbare Regelung zu beurteilen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls20.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze handelt es sich bei den übersandten Bescheidkopien weder um gesondert anfechtbare Verwaltungsakte noch sollte mit ihnen eine Bekanntgabe der streitgegenständlichen Bescheide nachgeholt bzw. ein Bekanntgabemangel geheilt werden. Der Amtsvorsteher hat dies schon äußerlich dadurch dokumentiert, dass er die Ablichtungen der Grundstückseigentümerin mit dem Begleitschreiben vom 23.02.2009 ausdrücklich als „Kopie“ übersandte. Er hat insbesondere das Datum der Bescheide nicht auf den Tag der nochmaligen Versendung geändert. Zudem hat er zum Ausdruck gebracht, er gehe davon aus, dass die Bescheide der Grundstückseigentümerin bereits zuvor „zugestellt“ worden seien. Auch inhaltlich hat der Amtsvorsteher durch sein weiteres Vorgehen im Verwaltungsverfahren unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Übersendung der Kopien nicht zur Auslösung der an eine Bekanntgabe geknüpften Rechtsfolgen diente. Insbesondere wollte er keine neue Rechtsbehelfsfrist in Gang setzen, wie sich aus der nachfolgenden Widerspruchszurückweisung ergibt. Wären die mit Schreiben vom 23.02.2009 übersandten Bescheidkopien mit Bekanntgabewillen erfolgt, wäre der jeweils am 23.03.2009 offensichtlich binnen Monatsfrist (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhobene Widerspruch fristgerecht eingegangen und die Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig hätte nicht erfolgen dürfen/können. Die Annahme eines solchen Bekanntgabewillens scheidet auch in diesem Zusammenhang deshalb aus, weil der Amtsvorsteher wie ausgeführt ersichtlich selbst davon ausgegangen ist, eine Bekanntgabe im Zeitpunkt der Übersendung der Bescheidkopien könne eine inzwischen eingetretene Festsetzungsverjährung nicht mehr beseitigen; folglich machte die Annahme eines Bekanntgabewillens wiederum schon aus seiner eigenen Sicht keinen Sinn.

Materiell-rechtliche Fragen, insbesondere ob tatsächlich Festsetzungsverjährung eingetreten ist, sind nicht zu erörtern.

Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg -Vorpommern, Urteil vom 24. März 2015 – 1 L 313/11

  1. vgl. etwa FG Hamburg, Urteil vom 29.03.2007 – 1 K 258/06, unter Bezugnahme auf BFH, Urteil vom 07.08.1985 – I R 309/82, BStBl II 1986, 42; ebenso Nds. FG, Urteil vom 23.02.2000 – 3 K 91/94[]
  2. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.1996 – 8 C 19.94, BVerwGE 100, 262[]
  3. vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 21.11.1986 – 8 C 127.84, NVwZ 1987, 330; BayVGH, Urteil vom 24.11.2011 – 20 B 11.1659, NVwZ-RR 2013, 169; Sächs. OVG, Urteil vom 09.09.2014 – 2 A 56/12, Rn. 25, 21 f.; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.08.2005 – 2 LB 59/04; wohl auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 07.12.1990 – 10 S 2466/90; VG Cottbus, Beschl. vom 08.02.2007 – 6 L 152/06[]
  4. vgl. BVerwG, Urteil vom 21.11.1986 – 8 C 127.84, NVwZ 1987, 330[]
  5. vgl. BVerwG, Beschl. vom 22.02.1994 – 4 B 212/93[]
  6. vgl. BFH, Urteil vom 09.12.1999 – III R 37/97; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. vom 14.05.2001 – 1 M 68/00 Rn. 43[]
  7. vgl. zu diesen Kriterien BayVGH, Urteil vom 24.11.2011 – 20 B 11.1659, NVwZ-RR 2013, 169[]
  8. vgl. BFH, Beschl. vom 18.04.2013 – X B 47/12[]
  9. vgl. BFH, Beschl. vom 06.07.2011 – III S 4/11 (PKH), BFH/NV 2011, 1717; Urteil vom 22.05.2002 – VIII R 53/00; Urteil vom 03.05.2001 – III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365, 1366[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 28.09.2000 – III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211[]
  11. BFH, Beschl. vom 07.12.1982 – VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229[]
  12. vgl. BFH, Beschl. vom 19.08.2002 – IX B 179/01, BFH/NV 2003, 138[]
  13. vgl. BFH, Urteil vom 28.09.2000 – III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211; vom 16.01.2007 – IX R 41/05, BFH/NV 2007, 1508; vgl. zum Ganzen BFH, Beschl. vom 03.07.2009 – IX B 18/09; Beschl. vom 06.07.2011 – III S 4/11 (PKH), BFH/NV 2011, 1717; vgl. auch zu § 41 Abs. 2 VwVfG und der Notwendigkeit eines ordnungsgemäßen Postaufgabevermerks auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl., § 41 Rn. 43; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. vom 19.10.2011 – 2 L 101/09, Rn. 9; Sächs. OVG, Beschl. vom 05.09.2014 – 3 A 722/12: „… durch den zuständigen Behördenmitarbeiter zu dokumentierenden Zeitpunkt der Aufgabe zur Post …“; vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 19.03.3012 – 23 K 5262, Rn. 23; zu § 37 Abs. 2 SGB X VG Trier, Urteil vom 14.04.2011 – 2 K 1082/10.TR; OVG NRW, Beschl. vom 07.03.3001 – 19 A 4216/99, NVwZ 2001, 1171[]
  14. insoweit liegt der Fall insbesondere anders als im Fall von OVG MV, Beschluss vom 11.04.2006 – 1 O 46/06[]
  15. vgl. dazu, ob und inwieweit der notwendige Nachweis mit einem Postausgangsbuch geführt werden kann, BayVGH, Urteil vom 24.11.2011 – 20 B 11.1659, NVwZ-RR 2013, 169[]
  16. vgl. BayVGH, Urteil vom 24.11.2011 – 20 B 11.1659, NVwZ-RR 2013, 169; FG Hamburg, Urteil vom 29.03.2007 – 1 K 258/06; BFH, Urteil vom vom 25.01.1994 – VIII R 45/92, BFHE 173, 213[]
  17. vgl. FG Hamburg, Urteil vom 29.03.2007 – 1 K 258/06[]
  18. vgl. hierzu näher BVerwG, Urteil vom 18.04.1997 – 8 C 43.95, BVerwGE 104, 310; Urteil vom 25.04.2013 – 3 C 19.12, ZOV 2013, 128[]
  19. vgl. BFH, Urteil vom 04.10.1989 – V R 39/84 – BFH/NV 1990, 409; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25.04.2013 – 3 C 19.12, ZOV 2013, 128[]
  20. vgl. BFH, Beschl. vom 24.11.1999 – V B 137/99, BFH/NV 2000, 550; vgl. zum Ganzen FG Hamburg, Urteil vom 29.03.2007 – 1 K 258/06[]
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